…mit 50.000 Euro – und sieht darin kein Problem!

Der Fall des Claas Relotius war kein Einzelfall, wie es der „Spiegel“ nach der Aufdeckung des wohl größten deutschen Medienskandals seit der Fälschung der Hitler-Tagebücher glauben machen wollte. Er war nur die Spitze des Eisbergs. Der jahrelange Betrug des vielfach ausgezeichneten Journalisten, der seine teils frei erfundenen, teils mit dramatisierenden Ergänzungen ausgeschmückten Geschichten vor allem dem „Spiegel“, aber auch vielen anderen Zeitungen und Zeitschriften andrehen konnte, wäre nicht möglich gewesen ohne diejenigen, die ihm seine Räuberpistolen gerne abnahmen. Geschickt spielte er auf der Klaviatur des politisch korrekten Betroffenheits-, Erregungs- und Enthüllungsjournalismus und lieferte die Mischung aus Fake News, Sensation und Rührseligkeit, die man in Hamburg und anderswo erwartete.

Und man wünschte diese Art von Journalismus offenbar auch in den zahlreichen Institutionen, die Relotius mit angesehenen und hochdotierten Preisen überhäuften, darunter der Peter-Scholl-Latour-Preis, der Reporterpreis, der Katholische Medienpreis und der Konrad-Duden-Journalistenpreis.
2014 erhielt Relotius auch den CNN Journalist Award, mit dem CNN International zwischen 2005 und 2015 „Nachwuchsjournalisten für herausragende internationale Berichterstattung“ auszeichnete. „Im Rahmen einer feierlichen Gala im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München wurden junge Journalisten in den Kategorien TV, Radio, Print, Online und Foto geehrt. Neben den Preisträgern in den einzelnen Kategorien wurde ein Beitrag besonders hervorgehoben: Claas Relotius (Reportagen) wurde mit dem Beitrag ‚Der Mörder als Pfleger‘ als CNN Journalist of the Year 2014 ausgezeichnet“, berichtete das Schweizer „Presseportal“.

Die festliche Veranstaltung, auf der Relotius so feierlich geehrt wurde, hat sicher viel Geld gekostet – aber dafür wurde sie von der Bayerischen Staatsregierung auch großzügig unterstützt: Wie der Leiter der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien, Dr. Florian Herrmann (CSU), auf Anfrage der AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag, Katrin Ebner-Steiner, bestätigte, hat die Staatsregierung die Preisverleihung mit 50.000 Euro gefördert. Das Geld ist in das „Gesamtbudget der Veranstaltung eingeflossen, aus dem auch die Preisgelder finanziert wurden“, wie Herrmann mitteilte.

Das Grußwort der Staatsregierung wurde von Ilse Aigner, der damaligen stellvertretenden Ministerpräsidentin und Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, gesprochen. Was die heutige Landtagspräsidentin an wohlklingenden Worten zur Ehrung der jungen Qualitätsjournalisten von sich gegeben hat, lässt sich leider nicht mehr in Erfahrung bringen, da das Manuskript angeblich nicht mehr vorliegt, wie die Staatskanzlei schon im Januar mitteilte.
Die schriftliche Anfrage von Katrin Ebner-Steiner vom 8. Februar 2019 mit dem Titel „Finanzielle Beteiligung der Bayerischen Staatsregierung an Preisverleihung für den der Fälschung überführten Journalisten Claas Relotius“ – die die Staatsregierung erst jetzt beantwortete – führte Beachtliches zutage. Brisant ist die Frage (3.1.) nach einer möglichen Einflussnahme der Staatsregierung auf die Auswahl des Hauptpreisträgers Relotius.

Nachdem Herrmann dies verneint hat, sprach Frage 3.2. die daraus folgende Ahnungslosigkeit der Regierung an:
„[…] Bedeutet dies, dass die Staatsregierung eine Auszeichnung gefördert hat, ohne eine eigene Meinung über die Preiswürdigkeit des Journalisten gebildet und eingebracht zu haben?“
Die Antwort lautet lapidar: „Nach dem Grundsatz der Staatsferne der Medien hat eine unabhängige Jury über die Auswahl der Preisträger entschieden.“
Offensichtlich ergibt sich daraus ein Problem: „Befindet sich die Staatsregierung nicht in einem klassischen Dilemma, wenn sie einerseits die Möglichkeit von Journalistenpreisen fördert, aber andererseits aus Gründen der Neutralitätspflicht auf die Auswahl und Beurteilung des oder der konkreten Journalisten verzichten muss?“ (7.2.)
Angesichts dieser Frage wurde der Leiter der Staatskanzlei ziemlich wortkarg:
„Siehe die Antworten zu den Fragen 3.2 und 5.3.“
Dieselbe Schmallippigkeit folgte nach der nächsten Frage (8.1.): „Wie gedenkt die Staatsregierung diesem Dilemma zukünftig zu entkommen, wenn sie nicht wieder Gefahr laufen will, ungewollt einen Hochstapler zu fördern?“
„Siehe die Antworten zu den Fragen 3.2 und 5.3.“
Die Staatsregierung will sich ihrer Verantwortung nicht stellen: „Liegt nicht die einzig konsequente Aufhebung des Dilemmas im vollständigen Rückzug aus der Förderung derartiger Veranstaltungen? (8.2.)
„Siehe die Antworten zu den Fragen 3.2 und 5.3.“
Immer wieder dieselben Phrasen von der „Staatsferne der Medien“ und einer „unabhängigen Jury“ (3.2.) sowie der Verweis auf ein allgemeines „Renommee“: „Die Verleihung des ‚CNN Journalist Award‘ ist eine Veranstaltung mit großem nationalem und internationalem Renommee. Die Veranstaltungen wurden daher von der Staatsregierung gefördert, um den Medienstandort Bayern und München zu stärken.“ (5.3.)

Gerade „renommierte“ Veranstaltungen sind jedoch typischerweise regierungsnah und spiegeln politisch erwünschte Gesinnungen wider. Andererseits würde die Auswahl bestimmter Journalisten durch die Regierung eine Einflussnahme auf deren Berichterstattung bedeuten und damit – mehr als das ohnehin schon der Fall ist – Gesinnungsjournalismus und Hofberichterstattung fördern, wie Katrin Ebner-Steiner zu bedenken gibt. Sie stellt daher fest: „Die Staatsregierung hat auf dieses Dilemma keine Antwort und will weiterhin in Kauf nehmen, möglicherweise wieder einen Betrüger wie Relotius mit dem Geld des Steuerzahlers zu unterstützen.“

Die einzig richtige Konsequenz aus dem Relotius-Finanzierungsskandal wäre laut der AfD-Fraktionsvorsitzenden „der vollständige Rückzug der Bayerischen Staatsregierung aus diesem verfassungsrechtlich bedenklichen und politisch äußerst fragwürdigen Förderungs- und Belohnungssystem“.

Doch dazu ist die Staatsregierung offenbar nicht gewillt …